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Aeugsten, GL

Die Seen, wo das Vreneli badete und grübelte

Wandertipp Aeugsten

Diese Rundwanderung führt durch ursprüngliche Alplandschaften in der UNESCO-Welterbe-Tektonikarena Sardona. Die faszinierende Seenplatte ist den Anstieg wert. Auf der Talseite vis-à-vis grüssen mächtig weiss Tödi und Glärnisch. An den Fessis-Seeli «bädelete und hirnete» das sagenhafte Vreneli vom Vrenelis Gärtli in Tim Krohns Roman «Quatemberkinder».


Meteo Schweiz kündigt einen Sonnentag inmitten einer Regen- und Gewitterperiode an. Also packe ich die Gelegenheit. Mit der Seilbahn entschwebe ich dem Linthtal hoch nach Aeugsten. 964 Höhenmeter in ein paar Minuten – zack!

 

Im sympathischen Berghaus Aeugsten gönne ich mir einen Kaffee und schaue auf das Panorama auf der gegenüberliegenden Talseite. Nun ja, es liegt viel Feuchtigkeit in der Luft. Mit Ausnahme des mächtigen Tödi am Talende stecken alle Berge in den Wolken.

 

Bei den Seelenen? Auf dem Wanderwegweiser steht Fessis-Seeli. Beides dasselbe. Die Seenplatte heisst Bei den Seelenen und liegt auf der Fesis-Alp. Fesis oder Fessis oder Bei den Seelenen – egal.

 

Wir sind im Wildschutzgebiet Schild unterwegs. Tiere und Pflanzen sind hier geschützt. Ausser ein paar Falken, Murmeltieren und Schmetterlingen bekomme ich allerdings nichts vor den Feldstecher. Dafür präsentiert sich die Alpenflora umso vielfältiger. Von Alpenrosen bis zu allerhand Orchideenarten. Es ist eine wahre Pracht. Was auch auffällt, ist die Ruhe. Das heisst: nicht ganz. Wind, Vogelgezwitscher, Bachrauschen, Murmeltierpfiffe und ab und zu Kuhglockengeläut. Der reine Sound der Bergwelt begleitet die Wandernden hier oben.

 

Eine Tafel am Wegrand erläutert die Geologie der Umgebung. Vis-à-vis sieht man das Martinsloch in der weltbekannten Glarner Hauptüberschneidung. Und endlich erfahren wir auch, was das für ein auffälliger roter Stein ist, auf dem wir wandern: das Verrucano-Gestein, 250 bis 300 Millionen Jahre alt.

 

Wo das Vreneli «bädelete und hirnete»

Die Karstfelsen werden häufiger, bis sich der Weg wieder durch Weide- und Grasland schlängelt. Und dann plötzlich das erste Seelein. Diese folgen quasi auf Schritt und Tritt. 1, 2, 3, … 22, 23 … Ob sie wohl jemand je gezählt hat? Grosse, kleine, vertrocknete, verlandete Seelein. Auf der anderen Talseite, direkt über den Seelein, ragt der Glärnisch auf. Mit dem Vrenelis Gärtli oben links. Denn hier «bädelete und hirnete» das Vreneli im Buch «Quatemberkinder» von Tim Krohn (lesenswerte Lektüre) und schaute hinüber auf seinen Garten.

 

«Von der Vriinä verzellten die Leute aber überhaupt vieles. So hiess es, sie liebe in ihren jungen Jahren schon eine Gämse wie anderes Weibervolk einen Mann. Andere sagten, das Gämsi sig sein Geschwister, und das Vreneli halte es hoch auf dem Fryberg versteckt, damit die Jäger es nicht totschössen, und heig ihm ein Ei aus reinem Kristall an einem sammetigen Bändel um den Hals gehängt. Dann wieder hiess es, die Vriinä könne man mängsmal in den Fessisseelein baden sehen – und weil das so appartig zum Gschauen sig, heig vor nicht langer Zeit ein Zusenn aus dem Bündnerischen dem Vreneli, wie es so am Baden war, das Gewand gestohlen und das Vreneli päcklet und an sich gezerrt und wie verruckt abgeschmüüselet. Darauf soll es den säben Zusenn aber überall so grüüli gebissen haben, dass er meinte, er müsse verbrünnen, und sich mit der Milch von einer Kuh, die ihm am Weg stand, heig vom Gebrünne wellen loswaschen und mit einem Vehstriegel losstriegeln, und am Schluss heig er sich im Plangen nach Erleichterung gar in die wilde Sernf gestürzt und sig versoffen.»

 

Es lohnt sich, hier bei den Fessis-Seen Zeit zu verbringen und auch abseits des Weges in den Mulden, Senken und Tälern auf Entdeckungsreise zu gehen. Oder ein erfrischendes Bad zu nehmen. Wer noch höher hinaus will, folgt dem Wanderweg bis zum Gipfelkreuz des Gufelstocks, 2435 Meter. Eine prächtige Aussicht ist die Belohnung für die zusätzlichen Höhenmeter. (Hin und zurück rund eine zusätzliche Stunde, 200 Höhenmeter.)

 

Wieder hinunter geht es auf demselben Weg bis zum Wegweiser «Ober Fessis». Hier links halten und unten bei der Alp im kleinen Hüttchen noch frischen Fessis-Alpkäse kaufen.

 

Das Vrenelis Gärtli zeigt mir seine diesjährigen Schneefelder erst, als ich bei der Bergstation unten warte. Falls Sie die Wanderung nicht mehr in diesem Herbst schaffen, dann planen Sie diese für nächsten Frühling. Die Blumenpracht der Flora entlang des Weges war eines meiner Wander-Highlights in diesem Jahr!

Karte Aeugsten

Aeugsten – Schafleger – Bei den Seelenen – Ober Fesis – Aeugsten

 

Start Aeugsten Bergstation, von Ennenda bei Glarus
Ziel Bei den Seelenen (Gufelstock, 2435 m)
Charakteristik

Rundwanderung durch idyllisches Alp- und Berggebiet, mit herrlichen Aus- und Tiefblicken zu vielen mystischen Seelein.

Anreise Mit ÖV oder PW, Talstation Bergbahn Aeugsten
Rückreise Mit ÖV oder PW
Route Aeugsten, 1498 m – Pt. 1972 Schafleger – Alp Fesis – Bei den Seelenen, 2255 m – Alp Ober Fesis, 1849 m – Aeugsten, 1498 m
Zeit 5 Stunden (ohne Pausen und Picknick). Zusatzschlaufeauf den Gufelstock: 200 Hm / 1 Stunde retour.
Schwierigkeit T3, durchgehend weiss-rot-weissmarkiert.
Distanz 10,5 Kilometer
Höhendifferenz Aufstieg 1055 Hm und Abstieg 1055Hm
Austrüstung Wanderbekleidung, Wanderschuhe, Picknick
Verpflegungsmöglichkeiten Berghütte Aeugsten
Geheimtipp Badesachen mitnehmen. Buch «Quatemberkinder» von Tim Krohn lesen. Seilbahn unbedingt vorab telefonisch reservieren (www.aeugstenbahn.ch).
Dominik Abt

Dominik Abt, Wanderleiter SBV, leitet Wanderungen und Trekkings in der Schweiz und weltweit.

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