Veröffentlicht am 09.10.2024 in Ernährung

Bauchgeflüster: Wie der Darm unser Leben lenkt

Der Darm ist unser zweitgrösstes Nervensystem, bildet zwei Drittel unseres Immunsystems, versorgt uns mit Energie und ist auch für unser seelisches Wohlbefinden wichtig. Kein Wunder, wird er auch oft als unser «zweites Gehirn» bezeichnet.

Höchste Zeit also, mehr über unseren Darm zu erfahren:

Tennisplatz im Bauch

Unser Darm ist etwa sieben bis acht Meter lang. Würde man allein den Dünndarm mit all seinen Falten und kleinen Zotten glatt streichen, wäre er rund sieben Kilometer lang und hätte eine Fläche von 200 Quadratmetern. Das ist so gross wie ein Tennisplatz!

Nervenpower

Mit rund 100 Millionen Neuronen ist der Darm nach dem Gehirn das grösste Nervensystem unseres Körpers. Noch faszinierender: Dieses System erledigt seine Arbeit weitgehend unabhängig vom zentralen Nervensystem. Ganz autonom befördert es Nahrung durch den Darm, setzt Enzyme frei und steuert den Blutfluss in den Darm, um die optimale Aufnahme von Nährstoffen zu gewährleisten. Einige Forschende gehen davon aus, dass das Darmhirn auch in der Lage ist, Reize und Reaktionen zu «speichern» und in künftigen Situationen darauf als eine Art «Erinnerung» zurückzugreifen. 

Darm-Hirn-Gespräche

Darm und Gehirn kommunizieren ständig mitei­nander – nicht nur, wenn man Hunger hat! Der wichtigste und schnellste Kommunikationsweg ist der Vagusnerv. Er verläuft durch das Zwerchfell, zwischen Lunge und Herz entlang der Speiseröhre, durch den Hals bis ins Gehirn. Auf diesem Weg informiert der Darm unsere Schaltzentrale im Kopf über alles, was gerade im Körper passiert. Er kennt alle Moleküle unserer letzten Mahlzeit, fängt herumschwirrende Hormone ab und fragt die Immunzellen nach ihrem Tag. Es ist also kein Wunder, dass diese «Darm-Hirn-Achse» unsere Stimmung, unser Verhalten und unsere kognitiven Fähigkeiten beeinflusst.

Happy Hormone

Wussten Sie, dass etwa 90 Prozent des Glückshormons Serotonin im Darm produziert wird? Damit spielt unser Bauch eine wichtige Rolle für unsere Stimmung. So kann zum Beispiel eine Fruktose-­Intoleranz depressive Verstimmungen verursachen, weil sie die Serotonin-Produktion hemmt. Auch ein Ungleichgewicht in der Darmflora kann einen Einfluss haben. Aktuelle Forschungsergebnisse besagen: Wenn es um Grübeln, Stress oder Wut geht, kann unser Darm mit 10 bis 15 Prozent daran «mitschuldig» sein. Erste Studien zeigen ausserdem, dass «gute» Darmbakterien wie Probiotika Angstzustände und Depressionen lindern können.

Einzigartiges Ökosystem

Jeder Mensch hat seine eigene Bakteriensammlung im Darm. Die Besiedlung beginnt bei der Geburt. Ab dann bevölkern uns so viele kleine Lebewesen, dass wir plötzlich nur noch zu 10 Prozent aus reinen menschlichen Zellen bestehen und zu 90 Prozent Mikrobe sind. Welche Bakterien sich ansiedeln, hängt von unserem Lebensstil, Zufallsbekanntschaften, Krankheiten oder Hobbys ab. 

Bakterien-Party

Rund 100 Billionen Bakterien leben im Darm. Ja, Sie haben richtig gelesen! Aber keine Sorge: Wir wissen heute, dass der Grossteil dieser Mikrobengemeinschaft für uns unverdauliche Nahrung aufspaltet, unseren Darm mit Energie versorgt, Vitamine produziert, Gifte oder Medikamente abbaut und unser Immunsystem trainiert. Probiotika gelten als besonders gute Bakterien: Sie helfen unserem Darm, Mineralstoffe und Vitamine aufzunehmen, schlechte Bakterien abzuwehren und unsere Abwehrzellen zu trainieren. Viele fermentierte Lebensmittel, zum Beispiel Essiggurken, Sauerkraut oder Tempeh, enthalten gesunde Probiotika. Essen Sie diese guten Bakterien aber nicht nur, sondern füttern Sie sie auch. Am besten mit Präbiotika – das sind spezielle Ballaststoffe, die zum Beispiel in Zwiebeln, Knoblauch, Bananen und Vollkornprodukten vorkommen. Sie machen Probiotika gross und stark. 

Immunsystem-Zentrale

Rund 80 Prozent unseres Immunsystems befinden sich im Darm. Das ist kein Zufall: Nirgendwo sonst im Körper haben wir so viele Bakterien wie dort. Im Darm können unsere Immunzellen die Bakterien ganz genau studieren und beurteilen. Dabei ist höchste Konzentration gefragt: Sie dürfen keine guten Bakterien angreifen, es aber auch nicht verpassen, in der riesigen Bakterienmenge die Bösewichte zu finden und zu eliminieren. Erst wenn die Immunzelle dieses Training erfolgreich absolviert hat, darf sie hinaus in die grosse weite Körperwelt.

Blutgruppen-Detektor

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum wir bei einer Transfusion nicht von jedem Menschen Blut erhalten können? Die Antwort liegt in unserem Darm! Denn: Rote Blutkörperchen haben 

auf ihrer Oberfläche bakterienähnliche Proteine. ­Eigentlich würden unsere Immunzellen deshalb unser Blut angreifen. Zum Glück haben die Immun­zellen bei ihrem Training in unserem Darm aber gelernt, dass unser eigenes Blut nicht angetastet werden darf. Sie tolerieren also die bakterienähnlichen Proteine auf den Blutkörperchen – aber nur jene, die sie von unserem eigenen Blut kennen! Deshalb dürfen wir bei einer Transfusion nur von bestimmten Blutgruppen Blut erhalten.

Viele weitere spannende Fakten über den Darm erfahren Sie im Buch «Darm mit Charme» von Giulia Enders (Neuauflage 2023, Ullstein-Verlag) und in der Netflix-Serie «Hack your Health».


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